Zum dritten Mal fand die Veranstaltung „Ilvesheim liest. Ein Buch“ statt. Interessierte Leserinnen und Leser diskutierten engagiert über den Roman „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink, der in über 40 Sprachen übersetzt und preisgekrönt verfilmt wurde. Im Gespräch ging es zu Beginn um die Fragen: Was macht den Reiz des Romans aus? Und zu welchem Genre gehört das Buch überhaupt? Ist es eine Liebesgeschichte, ein psychologisches, juristisches, philosophisches oder geschichtliches Buch? Der Roman lebt von den Gegensätzen junger Mann – ältere Frau, Nähe – Distanz, scheinbar heile Welt der 50er/60er Jahre – Grauen im 3. Reich, Bildung – Analphabetismus. Die großen Themen, die der Autor behandelt, sind Scham, die zur Lebenslüge führt, Verantwortung und Schuld. Nicht immer sei ersichtlich, wer wofür wirklich Schuld hat und wann man Verantwortung für das Leben anderer übernehmen sollte, so die Diskutierenden.
Intensiv wurde u.a. darüber gesprochen:
Kann eine Handlung im nachhinein strafbar sein, wenn sie zur Zeit der Tat nicht strafbar war? Oder hätten die Handelnden nicht schon damals das falsche Tun erkennen können? Nach Kant ist die Aufklärung der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Ist der Analphabetismus der Täterin eine unverschuldete Unmündigkeit und führt deshalb zu verminderter Schuldfähigkeit?
Ist die Täterin nicht auch Opfer ihrer Lebensumstände? Warum greift der Ich-Erzähler Michael Berg zu wenig aktiv ins Geschehen ein? Wovor hat er Angst?
Wie sieht die Verantwortung der 2. Generation nach dem 2. Weltkrieg für die Gräueltaten des Nazireiches aus und wie stehen wir heute dazu?
Die Leseinteressierten brachten viele Beispiele aus der eigenen Familie und eigene Erfahrungen in die Diskussion mit ein. Manch eine fühlte sich von der Geschichte des Erzählers sehr berührt, andere hatten auch Sympathien für die Täterin Hanna, die zum Schluss Selbstmord begeht – ob aus Reue, Schuldeinsicht, Strafe für Michael oder aus Angst vor der Außenwelt blieb offen. Keiner in der Diskussionsrunde wollte die Hand dafür ins Feuer legen, dass er oder sie nicht auch zum Täter oder Täterin geworden wäre, um sich selbst oder Angehörige zu schützen oder um Repressalien zu vermeiden. Übereinstimmung herrschte darüber, dass wir auch heute wachsam sein müssen, damit Ähnliches wie im 3. Reich nicht wieder passiert, und sei es nur im Kleinen.
Das gemeinsame Erarbeiten der vielfältigen Facetten des Romans wurde als sehr bereichernd gefunden.
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